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Johannes Bunge

sog. theater Saarbrücken Försterstraße 23

Ein Bericht aus den Siebzigern

 

Plakat zu "Die Ausnahme und die Regel" 1973

In den 1970er - Jahren war das sog.theater die einzige freie Bühne in Saarbrücken.

Der Mitbegründer Johannes Bunge berichtet über die Ideen und die Entwicklung des Kollektivs, das von dem Mailänder Piccolo Theatro und dem Pariser Théâtre du Soleil beeinflußt war.

 

Die Dokumentation wird ergänzt durch Fotos und den Plakaten für die einzelnen Aufführungen:

7 Szenenfotos,

4 Theaterplakaten und

1 Werbeanzeige.

 

2016, 19 x 26 cm, 52 S. 6,90 €

2. unv. Auflage 2016

3. unv. Auflage 2023

 

ISBN 978-3-942701-21-1

 

Beim Verlag bestellen und mit Paypal bezahlen - portofrei:

Zum Théâtre du Soleil siehe auch AQ 12: Theater mit einem Bericht über das Theaterstück 1793.

Leseprobe

Nach - Spiel (1)

Im Sommer 1975 sollte in Saarbrücken das erste Altstadtfest stattfinden. Niemand wusste, ob Leute kommen würden, ob sie außer an Essen und Trinken auch Interesse an Musik oder Theater zeigen würden. Das Festkomitee hatte uns, das sog.Theater, engagiert, am Samstag Abend um 19:00 etwas aufzuführen. Mitten auf dem St. Johanner Markt stand einsam und verlassen ein Holzpodest, nach allen Seiten offen, kein Dach, keine Mikrophone, keine Lautsprecher, keine Bänke, keine Stühle. Mit Trommeln und Pfeifen wollten wir durch die Gassen ziehen, um in Kostüm und Maske die Menschen von den Kneipen und Ständen zur Bühne zu lotsen.

"Approchez! kommen Sie mit, treten Sie näher..." Das Podest kam mir vor wie ein Schafott.

"Ludwig, Stumm und Co." war ein selbstgeschriebenes Panoptikum saarländischer Geschichte. Es ging um den seit der Antike immer wieder dargestellten Widerspruch zwischen Individuum und Gemeinschaft, zwischen Göttern und Sterblichen, zwischen Machthabern und Unterdrückten, es ging um das Leiden unter Willkür, die Darstellung von Trotz und Hoffnung und den Sieg des Menschlichen über das Unmenschliche.

Bereits ein Stunde vor Spielbeginn war klar, dass wir die eingeübten Versuche, Publikum anzulocken, vergessen konnten. Der Platz füllte sich, vom Keltermann bis zur Bleichstraße drängten Zuschauer herbei, an den Fenstern gab es keine freien Plätze mehr.

Blühendes Theater wollten wir spielen, keine erhobenen Zeigefinger, keine Sonntagsschule. Die klassischen Figuren der Commedia dell´arte stellten die verschiedenen Rollen des Stückes dar: Pantalone, der gierig-geizige Kaufmann spielte den Fürsten Ludwig und den Großindustriellen Stumm, der Dottore, als hinterhältiger Gelehrter, geschwätzig den Arzt und Notar, Arleccino, der quirlige Diener den Spielleiter und Conferencier, die vornehmen Damen wurden von Dienerinnen gemimt, dem Bühnenvolk mit Stockschlägen drohend.

Das Publikum war mäuschenstill. Der Text war nur im Umkreis von ungefähr 50 Metern verständlich, trotzdem herrschte absolute Stille auf dem Platz. Auch ohne Worte verstanden die weiter weg Stehenden, was auf der Bühne vorging.

Der Schlussapplaus wollte nicht enden.

Die Vorliebe für die Commedia hatten wir vom Pariser Théatre du Soleil übernommen. Es gab monatliche Pilgerreisen in den Pariser Bois de Vincennes. Wir durften in die Kantine des berühmten Ensembles und mit den Darstellern reden. Die Vorstellungen waren fast immer ausverkauft. Wenn unsere Gruppe, ohne Eintrittskarten, am Türsteher vorbei wollte verstellte er den Eingang, rollte mit den Augen und knurrte: "encore vous", dann trat er zur Seite und wir waren drin.

Ariane Mnouchkine, Kopf und Herz des Théatre du Soleil hatte die Commedia dell´arte mit ihrer Truppe in Mailand am Piccolo Teatro studiert. Seit dem 16. Jahrhundert war diese volkstümliche Kunst in Italien lebendig bis zur Zeit des Faschismus. Mussolini hatte die stets antiautoritären Komödien verbieten lassen. In den fünfziger Jahren hatte Strehler in Milano die Commedia zu neuem Leben erweckt. Das Théâtre du Soleil war mit "1789" auf einen Schlag weltbekannt geworden. Mnouchkine hatte die Geschichte der französischen Revolution im Stile der Commedia als theatralisches Großereignis auf die Bühne gebracht. Zu Musik von Beethoven und Mahler gab es stumme, leise und auch furiose Szenen, Parallelen zur Polizeigewalt gegen die Akteure der 1968er Jahre wurden deutlich.

Bei unseren Pilgerreisen nach Paris durften wir uns ein paar Scheiben von dieser Art, Theater zu machen, abschneiden. Aus diesen Scheiben wurde unser Ludwigstück, das später noch einmal im Hof der Stadtgalerie gezeigt wurde.

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