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Vortrag Helmut Federle über Robert Ryman Hallen für Neue Kunst, Schaffhausen, 5. Juni 1994 Aufzeichnung/ Transkript Galerie Susanna Kulli Zürich/ St.Gallen

Urs Raussmüller: Ja, meine Damen und Herren, ich freue mich riesig, dass Sie gekommen sind. Ich muss Ihnen ganz kurz noch etwas sagen. Ein Museum besteht aus Raum; das haben wir jetzt korrigiert, Sie sind nähergekommen. Es besteht aber auch aus Wänden, auf diesen Wänden sind Bilder. Die Bilder sind hier, Sie sind hier. Ich muss Sie einfach bitten, sich nicht so an die Wände zurückzulehnen, oder daran zu denken, dass oftmals hinter Ihnen noch Kunstwerke ausgestellt sind. Danke für das Beachten.

 

Nun, ich habe gedacht, ich sage doch ein paar Worte, aber sehr, sehr kurz, hier zu diesem heutigen Tag. Wir sind in …, ja, in einer Zeit, in der unendlich viel geredet wird. Und wenn das alles so intelligent wäre, wie die, die reden, meinen, dass es sei, so müssten wir beinah in der besten aller Zeiten leben. Dem ist aber nicht so. Es scheint mir, dass oft geredet wird von Leuten, die nicht wissen, worüber sie reden, und in Zusammenhängen von denen, die diese Zusammenhänge nicht kennen. Ich denke, dagegen gibt es nur ein Rezept: „Qui n’a rien à dire se taise!“ – Wer nichts zu sagen hat, soll schweigen.

 

Wir haben uns gedacht, dass es, um über die Kunst zu reden in diesem unzähligen Durcheinander von Architekturgesprächen und Kunstmeinungen, von Kunstgeschichte und Kunstreden, wichtig ist, die hierherzuholen und über die Kunst sprechen zu lassen, die diese Kunst auch selber machen. Zurück zu den Wurzeln, zu denen, die es betrifft, zu den Künstlern! So haben wir uns entschlossen, in diesem Jahr einige Künstler zu bitten, uns hier über sich und über ihre Beziehung zum Werk anderer etwas Unmittelbares, Persönliches und sie auch Betreffendes zu sagen. Heute beginnen wir diesen Zyklus, den Christoph Schenker betreut, mit Helmut Federle, und ich freue mich riesig, dass er hierhergekommen ist, und ich freue mich ebenso riesig, dass auch Sie hierhergekommen sind. Und so soll es also hier beginnen. Ich danke Ihnen.

 

Christoph Schenker: Guten Morgen, meine Damen und Herren. Ich glaube, es erübrigt sich, sowohl Robert Ryman als auch Helmut Federle vorzustellen. Ich möchte nur ganz kurz sagen – das wissen Sie ja wahrscheinlich eh schon –, dass hier in den Hallen für Neue Kunst weltweit die grösste Sammlung von Gemälden von Robert Ryman zu Hause ist. Das möchte ich bei dem bewenden lassen. Robert Ryman ist 1930 geboren, lebt in den Vereinigten Staaten. Zu Helmut Federle möchte ich auch nur die wenigsten biografischen Daten sagen: 1944 geboren, seine letzten grossen Ausstellungen waren 1991 in der Wiener Secession, 1992, die haben vielleicht die meisten von Ihnen gesehen, in der Kunsthalle Zürich, und dann letztes Jahr, 1993, im Fridericianum in Kassel. Zudem ist er schon mehrmals ausgestellt worden in der Galerie Susanna Kulli in St. Gallen.

 

Helmut Federle haben wir eingeladen, zu Robert Ryman zu sprechen, und er hat sich aus verschiedenen Gründen entschieden, zu Robert Ryman zu sprechen. Einerseits natürlich, weil er Robert Ryman persönlich kennt, andererseits weil er, ich möchte mal sagen, eine ähnliche Haltung bezüglich der Malerei empfindet wie er. Das sind vielleicht die zwei hauptsächlichsten Gründe. Ich möchte eigentlich hier nicht mehr sagen, sondern ich möchte Sie einfach dazu auffordern, die Veranstaltung von heute auch gleichzeitig als Diskussion zu sehen, das heisst, Helmut Federle wird anfangs einige Worte sagen, seine Haltung gegenüber Robert Ryman, seine spezifische persönliche Haltung, seine künstlerische Perspektive gegenüber Robert Ryman auch erläutern – das ist ja auch der Grund, warum wir diese Künstlerreihe machen –, dann aber möchte ich Sie natürlich auffordern, auch persönliche Fragen zu stellen, zu intervenieren, damit sich ein lebendiges Gespräch daraus ergeben kann. Ich danke Ihnen vielmals für Ihr Herkommen.

 

Helmut Federle: Beginnen möchte ich mit der Überlegung, dass ich heute hauptsächlich zum Thema der Malerei spreche und weniger zum Thema der Kunst. Und wieso sage ich das? Weil es für mich eine wesentliche Entscheidung ist, die Medien wieder zu trennen. Denn unter dem Begriff „Kunst“ ist alles möglich; die Auswüchse hat man erlebt. Für mich ist es wichtig, sich zu beschränken und sich einfach klar zu definieren auf das Medium, mit dem man sich beschäftigt. Malerei, das heisst, man macht Kunst als Maler, man macht nicht Malerei als Künstler! Und hier zeigt sich, dass es sehr wichtig ist, auf die Kunstgeschichte der jeweiligen Sparte einzugehen, also in diesem Fall auf die Malerei.

 

Was fasziniert mich an Robert Ryman? Ryman ist für mich in einem gewissen Sinne ein klassischer Maler, nicht zuletzt deshalb, weil er die Dimension des Bildes eigentlich immer in der klassischen Dimension gehalten hat und die Bilder, vielleicht mit Ausnahme der neuesten Werke, wenig strapaziert hat. Das heisst, er hat das klassische Bildformat respektiert, und er hat innerhalb des klassischen Bildformates versucht, Fragestellungen, die ihn beschäftigen, zu definieren. Ryman ist ein Künstler im klassischen Sinne dieses Jahrhunderts, weil er natürlich dieses Modellhafte, das die Künstler in diesem Jahrhundert immer ausgezeichnet hat, ganz explizit vorangetrieben hat. Er hat für sich ein Vokabular entworfen, ein Vokabular definiert, an dem er erkennbar ist. Es war ihm nicht möglich, ein rotes Bild, ein blaues Bild oder ein grünes Bild zu malen. Er blieb beim weissen Bild, weil er damit garantiert, dass seine grob umzeichnete Persönlichkeit darin erkennbar wäre. Ein anderer Aspekt, der mich an Ryman interessiert, ist die Strukturierung dieser Bildhaftigkeit des Bildkörpers. Die ganze Kunstgeschichte der Malerei ist vorhanden; er hat sich immer analytisch damit beschäftigt, was das eigentlich ist, Malerei zu betreiben. Und er hat, im Unterschied zu anderen Künstlern, diesen Wechsel im strukturellen Verhalten auf dem Bild weiter vorangetrieben.

Ich möchte dazu erst einmal ein paar Vergleiche anbringen, die dem Modellhaften entsprechen, dem Umstand nämlich, dass der Maler ein Programm entwickelt hat, an dem er erkannt werden kann. Vergleichen wir das zum Beispiel mit jemandem wie Toroni, so sehen wir, dass bei Toroni das auch der Fall ist. Vergleichen wir das mit jemandem wie Agnes Martin, so sehen wir, das Modellhafte ist auch bei ihr der Fall. Agnes Martin erkennt man immer an den Streifenbildern oder Alan Charlton an dem grauen Bild. Was aber jetzt anders bei Ryman im Vergleich zu Toroni ist, das ist, dass er in dieser klassischen Bildbegrenzung geblieben ist, das heisst, er hat das Bild als ein Objekt der Orientierung beibehalten im Sinne der klassischen Malerei. Im Gegensatz zu Toroni, der aus dem Rahmen gegangen ist oder den Bildträger anders definiert hat. Es tönt vielleicht ein bisschen seltsam, wenn ich jetzt auf diesen klassischen Qualitäten von Ryman beharre. Aber gerade für mich ist es natürlich wesentlich, das darin zu sehen, weil es für mich als ein etwas jüngerer Künstler nicht mehr möglich ist, ein eindeutiges Vokabular oder ein eindeutiges Symbol zu entwickeln, an dem ich erkennbar wäre. Obwohl in einem gewissen Sinne die gelb-grauen Bilder auch so etwas wie eine Erkenntnisqualität haben und ich mich in der Tradition verhaftet sehe.

 

Im Vergleich zu Agnes Martin, die ich auch persönlich kenne, ist es so, dass Agnes Martin natürlich in ihrem Bildverständnis noch viel klassischer geblieben ist, das heisst, sie hat eigentlich das Bild nicht in seiner materiellen Dimension analysiert, sondern in seiner spirituellen Qualität. Die Bildfindung ist nicht so sehr auf die Körperlichkeit des Materials bezogen wie auf die klimatische Dimension. Dazu würde ich auch sagen, dass Agnes Martin in diesem Sinne eine viel klimatischere Künstlerin ist als Robert Ryman. Wobei Ryman natürlich wiederum für mich ein klimatischerer Künstler ist als Toroni oder vielleicht auch als Robert Mangold. Und ich selbst würde meine Malerei eigentlich auch zu dieser klimatischen Dimension rechnen. Sosehr für mich wichtig ist, dass man als Maler eigentlich die Grundbedingungen der Malerei analysieren kann und in sich selbst präzisieren kann, so wichtig ist es mir, im Unterschied etwa zu Robert Ryman, diese nicht zu thematisieren. Bis zu einem gewissen Grad thematisiert schon die Stärke des Rahmens oder die Position des Bildes oder das Verhältnis zwischen der Tiefe des Rahmens und der Grösse des Bildes diese Grundbedingungen. So weit, würde ich auch sagen, ist es für mich wesentlich, diese materiellen Grundbedingungen zu analysieren. Aber nicht im Sinne wie Ryman, wo das richtig zum Inhalt wird, weil bei ihm dieses analytische Vorgehen der eigentliche Inhalt des Bildes wird. Dem stelle ich zum Beispiel mein Verhalten oder das von Agnes Martin gegenüber; in Bezug auf uns kann man sagen, dass wir als Inhalt des Bildes immer eine klimatische Dimension haben, und beide sind wir auch Künstler, die Komposition nie von der Hand gewiesen haben, wie das Ryman zum Beispiel tut. Nur, bei Ryman ist es so, dass dieses Von-der-Hand-Weisen der kompositionellen Elemente für mich nur halb glaubhaft ist. Es gibt keinen bedeutenden Künstler, der nicht auch ein kompositionelles Verhalten hat. Bei Ryman sieht man das zum Beispiel ganz gut in dieser nächsten Stufe, auf die ich jetzt zu sprechen kommen möchte: in der Positionierung des Werkes im Raum.

Maler, die dieser analytischen Dimension zuzurechnen sind, sind ja nicht Maler, die Inhalt so beschränken, dass es, wenn das Bild fertig ist, ausserhalb des Bildes nichts mehr gibt. Sondern genau das Gegenteil ist der Fall. Durch die reduktive Dimension des Bildfeldes wird man sich des Umfeldes bewusst, das heisst des Umstandes, dass das Bild in einem Umfeld funktioniert. Dieser Dialog oder dieses Verhältnis zwischen Bild und Umraum ist ein absolut wesentlicher Test sowohl für den analytischen als auch für den klimatischen Maler, also zum Beispiel für Agnes Martin oder auch für Marioni oder Günther Umberg, die auch ein sehr starkes Bewusstsein von der Frage des Bildes in Bezug zum Raum haben. Das ist eine der wesentlichen Fragen. Und ich glaube, diese Frage nach der Beziehung zwischen Bild und Raum ist nicht zuletzt eine kompositionelle Frage, weil man in dieser Frage der Komposition sich eigentlich bewusst wird über die Möglichkeiten der Position im Negativen wie im Positiven. Das heisst, man kann ein Bild auch so hängen, dass es etwas Störendes bewirkt. Das kann ja auch Absicht sein, dass es etwas Störendes bewirkt. Oder man kann ein Bild so hängen, dass es etwas sehr Beruhigendes, etwas Positives bewirkt. Und das sind natürlich wesentliche Fragen, die dann mit eine Rolle spielen, wenn man auf der Stufe ist, auf der man eigentlich im Bild selber die Frage bereits gelöst hat; wenn man die Frage im Bild selber gelöst hat, kommt diese zweite Stufe, die Stufe der Positionierung des Bildes. Nehmen wir an, ein Bildinhalt oder die Bilddefinition hat eine positive Absicht, was man bei Robert Ryman durchaus sagen darf, so sehe ich keinen Zynismus da, sehe keine Anekdoten, nichts dergleichen. Bildinhalt in diesem Werk ist in einem wesentlichen Sinne Harmonie, und diese Harmonie wird unterstrichen durch die Position des Werks. Dadurch wird das Bild zum Orientierungsort im Raum und erhält dann wirklich diese sinnstiftende Qualität, die wir eigentlich von Bildern erwarten sollten.

 

Jetzt komme ich zu einem weiteren Punkt. In Rymans Werk ist ein Aspekt der Collagetradition sichtbar. Das ist vielleicht ein bisschen spitz formuliert. Aber Collagetradition nicht zuletzt deshalb, weil er mit den verschiedensten Materialien operiert und diese auch kombiniert. Das ist bei ihm ein wesentlicher Bestandteil. Nehmen wir jetzt als Beispiel dieses Bild, das ist eine Polyesterplatte, und diese Platte steht natürlich mit dem Metall in Verbindung. Hier entsteht aus dem Klima des Materials eine Spannung, und wo man Hartes mit Weichem kombiniert oder Unruhiges mit Ruhigem, verbirgt sich die klassische Collagefrage. Das sieht man zum Beispiel sehr gut bei den neueren Arbeiten, in denen Ryman mit transparentem Papier gearbeitet hat. Da setzte er ganz extrem eine fragile Materialität einer doch härteren Materialität entgegen. Das ist nun ein Aspekt, der für mich selber, für meine Arbeit, absolut unwesentlich ist und auch nicht zulässig wäre, weil ich, etwas oberflächlich gesagt, ein ziemlich gestörtes Verhältnis zur Collage habe. Sie interessiert mich an und für sich überhaupt nicht, weil ich ja eben jene klimatische Zone innerhalb des Bildes suche; und weil ich mich nicht im extremsten Sinn mit der Materialität, also der analytisch bewältigten Materialität des Bildes beschäftige, stellt sich mir diese Frage natürlich auch nicht. Ich hätte nichts davon, wenn ich ein Bild mit Samt statt mit dem klassischen Leinen bespannen oder dem Bild ein Papier anhängen würde, um dadurch Spannung zu erzeugen. Aber in Robert Rymans Werk ist es für mich absolut verständlich, weil es ihm genau um diese Dimension geht. Er untersucht eigentlich Farbe. Er untersucht das Material. Was passiert, wenn ich die Farbe auf Papier streiche oder wenn ich sie auf Leinen streiche oder eben auf Polyester oder Holz. Polyesterplatten hat er oft verwendet. Deren harter Untergrund wirkt sich natürlich auf die Farbe ganz anders aus als das weiche Leinen. Man sieht bei einer Malerei auf Leinen, spürt ein ganz anderes Atmen als bei einer Malerei, die auf Polyester aufgetragen wird. Polyester tritt viel mehr in den Vordergrund, hat einen offensiveren Charakter.

Dieses Collageprinzip hat Robert Ryman nie zum Selbstzweck forciert, und darum ist es für mich in seinem Fall absolut akzeptabel; man kann Grundfragen und Grundausstrahlungen an seinem Werk ja erleben.

Das Collageprinzip ist etwas, was in Agnes Martins Werk ebenfalls nicht vorkommt. Auch in einer anderen Beschränkung ist sie wiederum interessant zu sehen. Es gibt oft diesen Ausspruch, dass man sagt, Robert Ryman sei der progressivste Maler in diesem Jahrhundert oder überhaupt. Ich glaube, das ist ein Witz. So kann man das nicht formulieren. Robert Ryman hat zum Beispiel durch seine Grosszügigkeit den Bildformaten gegenüber, dadurch, dass er einmal ein kleines Bild, einmal ein grosses Bild hervorbringt, eine völlig klassische, ich möchte fast sagen, eine konservative Qualität, das Bild anzugehen. Agnes Martin hingegen hat sich über dreissig oder vierzig Jahre nur auf ein Bildformat beschränkt. Sie hat das, was Robert Ryman mit Weiss gemacht hat, mit dem Bildformat gemacht. Sie wollte sich beschränken auf dieses Bildformat, weil es ihr – ebenso wenig wie Ryman – nicht um den Inhalt geht (Inhalt als Illustration oder eben Illustration als Inhalt), sondern vielmehr um die Definition des Mediums Malerei. Malerei als ein Ding, herkommend von der Ikone, von der klassischen Ikone als einem Ort der Orientierung.

 

Künstler, die sich so weit vorgewagt haben und sich in diesem Bewusstsein wähnen, werden natürlich nicht mehr abgelenkt durch unnötige Experimente, die dann nicht weiterführen. Dies lässt sich gut sehen bei Agnes Martin. Ihre Beschränkung auf ein Format hat ihr absolut die Möglichkeit gebracht, ihr wichtigstes Anliegen, Komposition als spirituelle Qualität, zu präzisieren, und bei Robert Ryman ist es hinsichtlich seiner Beschränkung auf die Farbe Weiss, würde ich sagen, genauso. Seine Beschäftigung mit der analytischen Frage nach dem Bildkörper und seine Beschränkung auf das Weiss haben ihm alle Freiheit gegeben, die man sich eigentlich als Maler nur wünschen könnte.

 

Es gibt etwas, das man vielleicht in Beziehung zueinander setzen kann; es zeigt sich im Problem des Malers, der sich nur auf das Bild beschränkt und trotzdem eine ganz grosse Sensibilität entwickelt für das Ding im Raum. Solche Maler haben ein ganz hoch entwickeltes Bewusstsein für Volumen und körperliche Präsenz. Und gerade das ist interessant, wenn man es sich vor Augen führt, dass sie sich trotzdem nur als Maler sehen und in dem Sinn ja auch keine Bildhauer sind. Vom Bildhauer nimmt man immer an, dass er derjenige ist, der die Frage des Raumes am besten definieren kann. Das sehe ich leider nicht so. Sondern ich glaube, es sind genau diese Maler, die eigentlich die Frage des Raumes am besten definieren. Eben weil sie die Frage des Volumens in sich geklärt haben, des Bildvolumens in Beziehung zum Volumen des Raumes.

 

Es gibt einen anderen Amerikaner, Joseph Marioni, den ich gleichfalls sehr schätze und der auch mit Robert Ryman befreundet ist. Marioni ist ein Maler, der die Grundbedingungen der Malerei, des Dinges, des Bildkörpers ebenfalls analysiert hat und zu einem Programm gekommen ist, bei dem er zum Beispiel das Bild gegen unten ein bisschen verengt und auf der Seite auch ein bisschen verschmälert, sodass die dadurch entstehende Körperlichkeit für ihn rund wird. Marioni nun sagt, dass er seine Auffassung von der Malerei von der Figurenmalerei herhat. Ich weiss nicht, ob ich richtig bin, aber ich wage zu spekulieren, dass es bei Robert Ryman auch so sein könnte, dass er nämlich ein Maler ist, der sich sehr stark an Menschenbildern, an figürlichen Bildern, orientiert hat.

 

Demgegenüber sehe ich mich als Maler, der von der Landschaft her kommt. Mir ist Ferdinand Hodler zum Beispiel sehr wichtig. Meine Malerei kommt von der Landschaft her, und auch bei Agnes Martin ist es so. Ich habe einmal in einem Gespräch über sie gesagt, dass sie für mich die letzte grosse Landschaftsmalerin sei. Ich habe ihr das später gesagt, und sie war natürlich erbost und stocksauer darüber und sagte, das stimme nicht, wir seien die Maler, die alles hinter uns gelassen hätten, „non referential painters“, das heisst, unsere Malerei hätte keinerlei Referenzen. Da habe ich gesagt, ja, das wisse ich auch, dass wir so weit gekommen seien.

Heute aber, so viel später, kann man sehen, dass selbst Maler, die eigentlich jede Referenz abgelehnt haben, im Bild, klimatisch gesehen, trotzdem immer zu etwas eine Referenz haben. Wenn man sieht, wo Agnes Martin lebt und woher ihre menschliche Sehnsucht oder ihre menschliche Affinität kommt, so ist das Landschaft, die Landschaft von New Mexico. Ich bin ja ein Nachbar von ihr. Wir leben da draussen in der Prärie, und da muss man nur einmal einige Tage da draussen sitzen – dann hat man diese Horizontalen in sich zutiefst aufgenommen. Bei Ryman hingegen ist es so, denke ich, dass er von der Figur her kommt, wie Joseph Marioni auch.

 

Dann gibt es eine andere kleine Anekdote. Ich habe Joseph Marioni angesprochen auf Arbeiten von Robert Ryman, auf denen Jahreszahlen im Bild erscheinen, die Versions. Diese Jahreszahlen haben mich am Anfang ein wenig irritiert, weil ein absolut erstes Mal bei Ryman ein kompositionelles Element vorhanden ist und, unglaublich, fast schon vordergründig, Inhalt des Bildes wird. Ich fragte Joseph Marioni also, was er glaube, woher das komme und wie das Robert Ryman rechtfertigen, erklären würde. Ich meine natürlich nicht, dass Joseph Marioni mir genauso antwortete, wie dies Robert Ryman getan hätte; das konnte er nicht. Doch er meinte, das käme nicht zuletzt von der Beschäftigung mit der Darstellung von Jesus am Kreuz, durch die man mit diesen vier Buchstaben oben am Kreuz konfrontiert wird, oder von der Beschäftigung mit anderen alten Bildern, auf denen die Schrift ein Teil im Bild ist. Joseph Marioni meinte, das könnte so sein, dass Robert Ryman das Element der Schrift von diesen alten figurativen Bildern übernommen und so die Schrift wieder in das Bild integriert habe. Ich meine, das könnte sein, ich weiss jedoch nicht, ob das stimmt. Aber es wäre, zumindest für mich, eine versöhnliche Erklärung für dieses formale, grafische Problem der Erscheinung von Buchstaben und Zahlen auf diesen Bildern von Robert Ryman.

 

Ich möchte jetzt mal eine kurze Pause machen. Ich weiss nicht, vielleicht gibt es Fragen, oder du, Christoph, möchtest etwas dazu sagen?

 

Christoph Schenker: Da kann ich gerade bei dieser Signatur anknüpfen. Das ist eine der verschiedenen Fragen, die vielleicht auftauchen. Wenn man jetzt gehört hat, was du gesagt hast, gibt es Vergleichspunkte, aber es gibt auch ganz grosse Differenzen zwischen dem, was du als Maler machst, und dem, was Robert Ryman macht. Ich nenne jetzt einmal ein paar Punkte: Different ist sicher die Behandlung des Raumes, different ist ganz sicher der Farbauftrag und die Art und Weise der Analytik gegenüber dem Gemälde. Dieses kompositorische Problem hast du auch schon angeschnitten. Losgelöst von dem, was du über Joseph Marioni gesagt hast, hast ja auch du besonders in einigen deiner früheren Gemälde deine Signatur mit eingebracht.

 

 

 

Helmut Federle: Bei meinen Arbeiten, die Ende der Siebziger-, anfangs der Achtzigerjahre in New York entstanden sind, habe ich mich natürlich mit den Buchstaben als Kompositionselement beschäftigt. Das war bei mir eigentlich ein Steigbügelhalter, um das Bild zu definieren. Ich bin aber doch, das muss man einmal betonen, wieder ziemlich schnell von diesem Weg abgekommen, weil mich eigentlich der Buchstaben als Inhalt oder die Schrift als Inhalt in dem Sinne nicht interessiert hat. Ich entwickelte mich in eine andere Richtung. Mich begann die freie Form, die freie Präsenz von Form, zu interessieren und nicht mehr der Bezug zu dieser Art von Realität. Ich glaube, der wurde in meinem Werk oft auch überschätzt. Bei Robert Ryman hingegen erscheint und wird Signatur eingesetzt als Element der klassischen Malerei. Das Bild ist dadurch identifizierbar, dass es irgendwo, irgendwo, sage ich, eine Signatur hat. Die mögliche Diversität ist etwas Faszinierendes. Ich habe jetzt gerade in New York eine Ausstellung gehabt, in welcher ich meine Arbeiten einem Bild von Mondrian, einer russischen Ikone und einem Bild von Ferdinand Hodler gegenübergestellt habe. Und da sieht man zum Beispiel bei der Signatur von Hodler, dass er das H seines Namens mit einer anderen Farbe übermalt hat; nehmen wir an, er hat „Hodler“ in Blau geschrieben und nachher das H rot übermalt. Die Verwendung des Namens dient ebenso zur Strukturierung des klimatischen Raums. Und deshalb sehe ich Robert Rymans Umgang mit seiner Signatur eben nicht als grafisches Element, wie ich es eine Zeitlang verwendet habe.

 

Jetzt aber zu dem, was du gesagt hast, dass nämlich ein wesentlicher Unterschied zwischen Robert Ryman und mir im Farbauftrag bestehe. Ich glaube, das stimmt nur bedingt; da kennt man vielleicht auch zu wenig Arbeiten von mir. Denn es ist mir immer ein Anliegen gewesen, das Farbverhalten zu analysieren: Was passiert, wenn ich ein Bild absolut flach male, und was, wenn ich die Farbe sehr dick auftrage und sehr stark strukturiere? Was passiert, wenn ich Farben übereinanderlege, und was, wenn die Farbe singulär aufgetragen wird? Insofern sehe ich eigentlich beim Farbauftrag keinen wesentlichen Unterschied. Ich glaube, der wesentliche Unterschied zwischen Robert Rymans und meiner Auffassung ist, wie ich am Anfang gesagt habe, dass ich kein so eindeutiges Programmverhalten entwickeln konnte. Es war mir kein Anliegen, ein Signet zu konzeptualisieren und darauf zu beharren. Auf der anderen Seite glaube ich, dass meine Beschäftigung mit dem Tafelbild in einer reaktionäreren Haltung besteht, als sie Ryman hat, indem ich eben nicht die Grundbedingungen verändere. Ich bin immer mehr oder weniger auf dem klassischen Keilrahmen geblieben und ebenfalls auf der Leinwand. Das war für mich auf einmal eine neue Möglichkeit, das Bild wieder in Diskussion zu bringen. Der Fortschrittsglauben, alles voranzutreiben, alles noch mehr aus dem verbrauchten Vokabular herauszunehmen, schien mir auf einmal nicht mehr möglich. Man darf nicht vergessen, 1920 wurden die ersten monochromen Bilder von Rodtschenko gemalt. Was war dann 1950 für Yves Klein noch möglich oder für einen Späteren? Man darf den Weg der Malerei nicht als aufsteigende Linie sich übertrumpfender Erfindungen sehen, sondern man muss das als einen Weg sehen, auf dem sich der Maler in einer Tradition befindet, innerhalb derer er seine eigene Partitur entwickelt. Man kann die Sprache auch nicht jeden Tag neu erfinden. Und mit allem anderen ist es ähnlich.

 

Frage aus dem Publikum: Kann man nicht sagen, dass das Abstrakte und die Expression eher von zwei verschiedenen Programmen ausgehen?

 

Helmut Federle: Nein. Es ist zum Beispiel interessant, bei Robert Ryman zu sehen, dass das horizontale Bild eigentlich nicht präsent ist, währenddem das vertikale Bild präsent ist. Natürlich tendiert derjenige, der sich mit Landschaft beschäftigt, automatisch in die Breite, und wer sich in der Vorstellung nur mit Figuration beschäftigt, neigt zur Vertikalen. Und der Begriff des Klimatischen, das hängt natürlich genau mit diesen Aspekten zusammen. Die klimatische Dimension widersetzt sich der Auffassung, dass Bilder auf nichts anderes als auf sich selbst verweisen. So etwas gibt es gar nicht, so etwas wie „nur auf sich selbst“. Denn alles ist vom jeweiligen Betrachter her klimatisch erfassbar. Dunkel wird anders empfunden als hell, und kräftig wird anders empfunden als sanft. So möchte ich eigentlich die Definition des Klimatischen umschreiben. Und die ist sehr wesentlich für die Konsumierung des Bildes. Wir können heute nicht sagen: Das ist ein richtiges Bild und das ein falsches. Wir können nur sagen, dass dieses Bild funktioniert und das andere überhaupt nicht. Es ist eben nicht gewährleistet, wenn einer den Abendhimmel malt, dass er dann automatisch auch ein klimatisches Bild schafft; vielleicht hat er nur ein totes Bild hervorgebracht.

 

Frage aus dem Publikum: Meinen Sie mit „klimatisch“ Ihren inneren Zustand während des Malens oder die äusseren Kräfte und Umstände, die auf Sie während des Malens einwirken?

 

Helmut Federle: Ich würde sagen: beides. Die klimatische Zone entsteht vermutlich auch aus existierenden dualen Kräften, aus der inneren Konstitution und den äusseren Bedingungen. Unter äusseren Bedingungen verstehe ich in diesem Fall kunstgeschichtliche Bedingungen, denn jedes Bild knüpft an andere Bilder an. Es hat mit der Geschichte dieses einen Mediums zu tun und nicht mit der Geschichte eines anderen Mediums. Ich würde darum sagen, dass man ein Bild zum Beispiel nicht in eine Spannung oder in eine Konkurrenz setzen kann zur Musik oder zu einem Gedicht. Das ist nicht möglich. Man kann nicht sagen, dieses Bild ist jetzt genau in der Klimazone jenes Gedichtes. Das ist gar nicht möglich, weil es etwas ganz anderes ist, es hat seine eigenen medialen Bedingungen. Ein weisser Ryman ist kein weisser Mosset. Und innerhalb dieser eigenen medialen Bedingungen kommt so etwas zustande wie eine intellektuelle auratische Zone. Sie entsteht dadurch, dass diese Bedingungen eingehalten werden und nicht auf etwas anderes verweisen, was das Bild gar nicht ist. Aber natürlich, innerhalb dessen ist das Bild abhängig von verschiedenen Kräften.

 

Frage aus dem Publikum: Sie haben, wenn ich Sie richtig verstanden habe, das Klimatische dem Analytischen entgegengesetzt. Das habe ich nicht verstanden.

 

Helmut Federle: Ja, das habe ich vielleicht zu extrem voneinander abgegrenzt. Ich wollte damit eigentlich nur sagen, dass der analytische Künstler nicht vom Klimatischen ausgeht. Schlussendlich ist es gerade bei Robert Ryman interessant, dass jedes seiner Bilder auch ein klimatisches Bild sein kann. Aber seine Prämisse des Vorgehens ist prinzipiell die analytische. Ihn interessiert es nicht, Stimmung zu erzeugen.

 

Frage aus dem Publikum: Für mich ist es interessant, vom Analytischen zur Berücksichtigung des Raumes überzugehen, das heisst also in die Umgebung, oder überhaupt zu definieren, dass die Umgebung ganz wesentlich ist. Dadurch käme das Klimatische ins Spiel.

 

Helmut Federle: Richtig, so meine ich das auch. Wir wollen einmal sagen, Ryman gehört zu den absolut analytischen Malern, deren Werke aber eine klimatische Ausstrahlung haben; wohingegen es Leute gibt, von denen ich eher sagen würde, dass ihre Werke keine klimatische Ausstrahlung erzeugen. Robert Mangold etwa oder Alan Charlton.

 

Christoph Schenker: Ich möchte noch etwas ergänzen, bei der Landschafts- oder Figurenmalerei, von der du gewisse Künstler ableitest. Das ist ziemlich komplex und kann wahrscheinlich nicht identifiziert werden mit dem Problem Tafelbild, beispielsweise Figur auf Grund, und Malerei, die sich nur mit der Fläche beschäftigt. Das überschneidet sich am Anfang, wie man beispielsweise bei Henri Matisse sieht, der sehr häufig von der menschlichen Figur ausgeht, trotzdem aber das Gemälde quasi als Fläche begreift und nicht mehr das in den Vordergrund rückt, was… Grund in den Vordergrund rückt. Jetzt möcht ich zwei Dinge sagen. Einerseits erstaunt es mich, dass du deine Malerei mit der Landschaftsmalerei in Verbindung bringst, weil ich denken würde, Landschaftsmalerei sei hauptsächlich Malerei, die mehr die Fläche thematisiert (man könnte auch die Tiefe sagen), und weil bei sehr vielen Gemälden von dir eine deutliche Figurengrundproblematik da ist. Das ist das eine. Obwohl es natürlich nicht eindeutig ist, sondern immer ambivalent bleibt, was Figur und was Grund ist. Jetzt möchte ich, um zu Robert Ryman zu kommen, sagen, dass bei Robert Ryman, wenn man ganz spitzfindig ist, diese Figurengrundproblematik auch da ist, - aber auf eine andere, reduziertere Weise. Dass nämlich die Figur durch die Malerei charakterisiert wird, der Grund eigentlich durch den Farbträger, also durch die Leinwand oder die Wand. Das ganze Gemälde erscheint wieder als Figur auf der Wand als Träger oder als Grund. In seiner neuen Ästhetik als einer nach aussen orientierten Ästhetik charakterisiert er das Gemälde als etwas, das den ganzen Umraum akzeptiert in seinem ganzen realen Licht, in seiner realen Räumlichkeit und unserer Körperlichkeit. Da liegt eigentlich wieder eine landschaftliche Dimension. Also ist das Ganze irgendwie in sich verschränkt; die verschiedenen Linien kreuzen sich. Was würdest du dazu sagen?

 

Helmut Federle: Das ist sicher eine interessante Beobachtung. Gerade wegen der neuesten Arbeiten finde ich, das ist sehr richtig gesehen, dieser offensive Charakter, dass das Bild so nach aussen tritt, das hat was. Aber was mich eigentlich viel mehr beschäftigt, ist, dass nicht nur die Arbeiten, die formal auf den Raum bezogen sind, diesen Dialog mit dem Raum aufnehmen. Ich gehe nämlich von etwas anderem aus, davon, dass die Bilder eigentlich Stationen im Raum sind, und von daher können sie vollkommen introvertiert sein und trotzdem den Raum beherrschen. Ich denke jetzt zum Beispiel an Günther Umbergs schwarze Bilder, die eine starke Introvertiertheit haben und – je kleiner, desto besser – den Raum für mich genauso stark definieren wie zum Beispiel Robert Rymans weisse Malerei den weissen Raum. Ich glaube, das hat auch damit zu tun, ob man diese Sehweise überhaupt zulässt. Aber ich glaube, wenn das nicht Leute wären, die sich immer wieder mit diesen Fragen beschäftigt hätten, mit der Position des Bildes, seiner Wirkung, dieser frontalen Wirkung, dann hätten sie auch nicht dieses Verhältnis, diesen Platz im Raum gefunden. Da bin ich sicher.

 

Frage aus dem Publikum: Können die Bilder aus diesem Raum in einen anderen Raum gestellt werden?

 

Helmut Federle: Durchaus. Da kommen wir wieder auf den Anfang zurück, als ich sagte, was mir an Robert Ryman so imponiert. Das ist eine klassische Dimension. Seine Bilder sind eigentlich klassische Tafelbilder. Ich möchte sie nicht gerade in den Wartesaal oder sonst irgendwohin hängen, aber Sie können mit jedem dieser Bilder auch in einen anderen Raum gehen, um den Raum neu zu strukturieren oder neu zu artikulieren. Ich finde, Rymans Bilder sind eben nicht primär raumbezogene Bilder, und auch in meinem Fall handelt es sich nicht um raumbezogene Bilder, sondern sie sind Ikonen die den Raum definieren, aufladen.

 

Frage aus dem Publikum: Ich habe mich etwas gewundert über Ihre Interpretation der Schrift. Das war eigentlich eine anthropologische, historische Interpretation. Herrscht nicht in der Gegenwart eine andere Perspektive vor? Zum Beispiel bei Marcel Duchamp oder Jasper Jones, dass der Buchstabe und die Zahl ihrer Assoziationen, ihrer Konventionen entkleidet und als reine Formen hingestellt werden und dadurch beim Betrachter eine völlig ungewöhnliche Spannung erzeugt wird?

 

Helmut Federle: Ich meine, es könnte so sein. Es gibt ja einen amerikanischen Kritiker, der hat mir einmal gesagt, Robert Ryman sei ein Pop-Artist. Das hat mich schockiert. Ich kann es ja auch nicht genau sagen, man müsste ihn selber fragen. Nur ist natürlich „92“ und dieses zarte Umgehen mit der Zahl selbst bei Jasper Jones nicht so offensiv. Bei Jasper Jones ist es vielleicht eher wie bei mir, da ist der Buchstabe oder die Zahl ein Vorwand, um das Bild zu strukturieren. Aber bei Robert Ryman ist der Buchstabe, wie wir herausgefunden haben, schon Inhalt. Ich glaube, das hat eigentlich eine viel versöhnlichere Dimension. Ich will das gar nicht relativieren. Sondern das ist, glaube ich, seine dann doch wiederum unglaublich grosszügige Art. Er kann von irgendetwas überrascht sein und diese Überraschung gewähren lassen. Diese Ebene bei Ryman, auf die man wirklich auch eifersüchtig sein könnte, die plötzlich alles zulässt, ohne gross zu hinterfragen. So kann ich mir vorstellen, dass seine Freude allein an diesem „92“ so gross war, dass sie überragte. Ähnlich verhält es sich vielleicht mit den Nägeln etc. Wie kommt denn jemand dazu, diese Hängungssituation zu analysieren oder zu thematisieren? Soviel ich weiss von ihm, war das wirklich so, dass er ein Blatt hatte, das er mit diesen Tapes an die Wand geklebt hatte, und durch seine Persönlichkeit war er so fasziniert von diesem anderen Material, diesem Tape, dass er es einbezogen hat in das ganze Ding. Und ich glaube, so ist er im Grunde auch zum Einsatz von diesen Schienen, Schrauben, Nägeln etc. gekommen. Das ist kein unwesentlicher Punkt. Da herrscht nicht der Wille vor. Er ist kein Maler, der einem Gestaltungszwang unterliegt, sondern er ist eigentlich ein Maler grösster Generosität, der auch einmal einen Zufall sein lassen, auf einen Zufall reagieren kann und sein Sensorium, seine sinnliche Wahrnehmung, sehr hoch entwickelt hat, um die Dinge auch zum Klingen zu bringen.

 

Christoph Schenker: Darf ich noch etwas sagen zu dieser Signatur? Nur eine andere Perspektive. Das Erstaunliche bei Robert Ryman so oder so ist, dass er die Signatur einbringt. Das heisst, es sind ja absolut nicht referenzielle Werke, Werke die absolut auf nichts verweisen, so wie du das auch gesagt hast. Es ist ja nicht nur nicht kompositionell. Es gibt einige Werke, die über ihre prozesshafte Komposition oder auf ihre eigene Entstehungsgeschichte verweisen. Aber ansonsten haben sie im Prinzip keinen Verweischarakter. Umso erstaunlicher ist es, dass Robert Ryman gerade dieses Element des Bezuges auf den Künstler als Figur, das heisst über die Signatur und auf die Zeit über die Jahreszahl Bezug nimmt. Wenn ich das nun mit der Signatur oder mit den Initialen in den Arbeiten bei dir vergleichen würde, sehe ich das etwas anders. Bei Robert Ryman ist es mir sehr, sehr rätselhaft. Genauso wie es mir rätselhaft ist bei Barnett Newman. Bei dir sehe ich natürlich einen Bezug, weil ich deine früheren Arbeiten der Achtzigerjahre kenne, die das einbringen, dass ich diese Malerei, überspitzt gesagt, eine Erlebnismalerei benennen würde, also ganz im klassischen Sinne. Also Erlebnismalerei, die stark auch mit deinem physischen, psychischen Erleben in dieser Welt zu tun und insofern auch einen Verweischarakter hat. Das heisst, sie rühren woher. Sie sind nicht nur hier und jetzt in diesem Raum, sondern sie haben auch mit einem anderen psychischen und mentalen oder selbst landschaftlichen Raum zu tun. Da gibt es für mich einen grossen Unterschied von diesen beiden Konzeptionen, von der Signatur oder von den Initialen.

 

Helmut Federle: Ich glaube, das könnte man auch ganz generell als den klassischen Unterschied zwischen Robert Ryman und mir definieren. Der ist bei Robert Ryman sicher weniger präsent in den Arbeiten selbst, als es bei mir der Fall ist. Ich würde immer darauf verweisen, dass es selbst bei mir nicht nur ein Eins-zu-eins-Verhältnis ist, sondern das hat schon konzeptionelle Dimensionen. Das heisst, ich bin mir durchaus bewusst über diesen Einsatz des sogenannt Persönlichen, Existenziellen. Das wird eigentlich schon als ein Vokabular gebraucht; es hat sich völlig von mir freigeschwommen. Das andere würde mich schlichtweg gar nicht interessieren, meine eigenen Existenzbedingungen zu visualisieren. Aber das könnte man in Bezug zu anderen Leuten auch sagen. Da komme ich immer wieder auf Agnes Martin zurück, wo man sagen kann, das ist eine extrem existenzielle Malerin.

 

Frage aus dem Publikum: Zu einem Aspekt, der bei Robert Ryman immer wieder berührt, manchmal Angst macht. Er hat so etwas Autistisches. Seine Bilder sind ja hauptsächlich Bilder, die nicht auf einen zukommen, sondern man muss hingehen, auf sie zugehen. Demgegenüber gibt es ja auch Bilder, die kommen auf einen zu, die provozieren einen fast.

 

Helmut Federle: Den Ausdruck des Autistischen habe ich auch schon gehört in Bezug auf meine Arbeiten. (…) Ich glaube, das hat sehr viel mit der Art, wie man auf die Dinge zugeht, was man da erwartet, zu tun. Nehmen wir an, man erwartet eben viel, dann sind schlechte Bilder Bilder, die viel mehr scheinen, als sie wirklich sind, die viel mehr auf einen zukommen, bis man einen Meter vor ihnen steht und merkt, dass sie keinen Sinn bieten. Das heisst, dieses Autistische, das Veit Loers in Bezug auf mich sagt, kommt daher, dass es mir nicht darum geht, etwas zu beweisen. Ich kann auch nichts beweisen. Ich bin manchmal auch ratlos, absolut unsicher oder erstaunt. Das hat natürlich auch etwas Autonomes. Sogar für mich selbst staune ich manchmal vor meinen Arbeiten, weil ich nicht genau sagen kann, was es jetzt ist, durch was es jetzt wirkt oder was das Bild jetzt erreicht hat. Und ich glaube, so ist es bei Robert Rymans Arbeiten im Grunde auch. Das ist sein eigenes Erstaunen, die Freude, dass es da ist. Natürlich ist es in dem Sinne nicht offensiv. Aber, wie Christoph Schenker richtig gesagt hat, finde ich, dass zum Beispiel die neueren Arbeiten viel offensiver werden gegenüber den früheren Arbeiten. Woher kommt das? Das kommt vermutlich aus einer Skepsis. Ich weiss ja, dass er sich gegenüber dieser Spiritual in Art-Ausstellung in Los Angeles verweigert hat, weil das ein Thema ist, zu dem er keinen Bezug hat. Ich glaube, er sucht jetzt noch mehr Neutralität. Die Amerikaner haben zum Material ein ungestörteres Verhältnis als wir. Insofern ist er doch wieder ein Amerikaner, wenn er auch offensiv sein kann und zu einer ganz anderen Wirkung übergehen kann. Spricht er da als ein hoffnungsgeladener Nihilist oder zumindest Protestant.

 

Christoph Schenker: Versions.

 

Helmut Federle: Das sind ja für mich ganz tolle Bilder im Sinne dieser Position, weil ich da fünf verschiedene Kompositionszonen auf der Leinwand sehen kann, die vielleicht zusammenhängen, die vielleicht auch nicht zusammenhängen. Da werden absolute Gewichtungen innerhalb des Bildes gemacht. Und dann wieder, vielleicht als Reaktionen auf diese Versions, seine expansive Einförmigkeit. Vergleicht man zum Beispiel Robert Ryman mit Robert Mangold, ist es interessant, dass Robert Mangold ein viel geschlossenerer, viel abgeschlossenerer Maler ist. Robert Ryman hat ja eine Stimmungszone. Robert Mangold ist dagegen ein rein formaler Maler.

 

Kassette II, Seite A

 

Christoph Schenker: In diesem Sinne, wenn du jetzt das über Robert Mangold sagst, verstehe ich auch das, was du vorher gesagt hast bezüglich des Farbauftrags von Robert Ryman, dass du darin eine Ähnlichkeit zu deinem Schaffen siehst. Bei Robert Mangold könnte man eigentlich sagen, dass ihn der Farbauftrag als solcher nicht so sehr interessiert. Er trägt die Farben ja auch mit Rollen auf, relativ flächig. Es geht ihm eigentlich um den Gesamteindruck, den schnellen Gesamteindruck eines Gemäldes. Während eben bei dir und bei Robert Ryman sowohl eine Klein- als auch eine Grossstruktur vorherrscht. Die Gemälde wollen von nahe gesehen werden, weil da etwas lesbar ist, aber gleichzeitig auch von Weitem, aus der Distanz, um das ganze Bild lesen zu können, um seine räumlichen Dimensionen erfahren zu können. Aber doch ist auch die nahe Perspektive wichtig. Sie lässt den Pinselduktus sehen und erfahren, was ja bei Robert Ryman sehr wichtig ist und bei dir ja offensichtlich auch. Dieses Prozesshafte, das sich zeigt im Farbauftrag, in den Farbüberlagerungen, die aus der Distanz nicht immer wahrnehmbar sind.

 

Helmut Federle: Das ist auch ein Aspekt, denn diese dualen Kräfte, also Vernunft und Unvernunft, sind gleichmässig in der Bildfindung vorhanden. Das ist zum Beispiel etwas, bei dem der amerikanische Expressionismus eine grosse Rolle gespielt hat. Auch für mich einer der grössten Einflüsse. Es gibt auf der einen Seite rationale Entscheidungen, die aber durchaus abgebrochen werden, im Bild selbst, zugunsten einer unvernünftigen oder unentschiedenen Position. An einem einfachen Beispiel ist das Bild auf drei Seiten zugemalt, also es geht völlig flächig an die obere Kante und an die Seitenkanten, aber unten läuft noch ein bisschen Farbe, unten ist es nicht zugemalt. Da geht es eben nicht darum, das Programm absolut durchzuhalten, sondern diese dualen Prinzipien zuzulassen und einsichtig zu machen. (…)

 

Frage aus dem Publikum: Wie setzen Sie Robert Ryman im Vergleich zu Ad Reinhardt?

 

Helmut Federle: Erstens glaube ich, war Ad Reinhardt nicht so grosszügig wie Robert Ryman. Ad Reinhardt war, ich weiss es zwar nicht so genau, aber ich glaube es, eine viel impulsivere, viel energischere Persönlichkeit. Das vermittelt sich natürlich auf dem Bild nicht direkt. In Ad Reinhardts Malerei sehe ich niemals diese Fragilität, die ich zum Beispiel in diesen Arbeiten hier von Ryman sehe. Das ist ja gerade ein anderes Wort, das ich hinsichtlich Robert Rymans für charakteristisch halte, das Fragile, das Zarte. Und das sehe ich bei Ad Reinhardt nicht; er vertritt eine viel härtere Position. Und das hat vermutlich mit der Persönlichkeit zu tun. Ob der Maler reagiert auf Grundbedingungen, die gesamtgesellschaftlich herrschen, und da seine Malerei als Kampfmittel versteht oder ob der Maler sich distanziert und die Malerei als eine sinnstiftende Positionierung seines Daseins auffasst, ohne dass das so weit gehen muss, dass er geradezu eine Persönlichkeitsverbesserung anstrebt.

 

Christoph Schenker: Also Sie haben nach dem Verhältnis gefragt?

 

Zuhörerin: Ja, in Bezug auf die Malerei.

 

Christoph Schenker: In Bezug auf die Malerei gibt es natürlich noch weitere Aspekte. Ich meine, dass Ad Reinhardt jegliche Verbindung seines Gemäldes nach aussen sowohl psychisch, inhaltlich wie auch räumlich völlig vermeiden wollte. Deswegen sind zum Beispiel all seine Bilder nicht glänzend, sondern matt, sodass sich nicht mal das Licht im Gemälde spiegeln kann. Robert Ryman, könnte man sagen, spricht von einer nach aussen orientierten Ästhetik. Im Unterschied zur klassischen, nach innen gerichteten Ästhetik manifestieren seine Gemälde eine nach aussen gerichtete Ästhetik. Das wäre im Prinzip dem, was Ad Reinhardt will, absolut entgegengesetzt. Es kommt noch ein anderes Moment hinzu. Das ist nachzulesen in einem Aufsatz über Malerei von Robert Ryman, der in einem Katalog des Hauses abgedruckt ist. Da spricht er von der Abstimmung der verschiedenen Materialien aufeinander, über das Verhältnis des „Paint“, quasi, der Malerei oder der Farbe als materieller Qualität zu ihren ganz unterschiedlichen Trägern, worauf wir vorhin schon hingewiesen haben, und über den Träger dann wieder in Beziehung zu der Aufhängevorrichtung respektive zu den verschiedenen Materialien. Dieser materielle Aspekt, von dem man eigentlich eher denken würde, dass es ein Aspekt der Skulptur ist, der Plastik, der spielt in seinen Gemälden eine sehr, sehr grosse Rolle. Gerade weil die Malerei nach aussen gerichtet ist, bricht sie in ihrer Problematik auf, entdeckt sie skulpturale Aspekte für sich und manifestiert sich in ihnen, also in dieser Abstimmung verschiedener Materialien aufeinander.

 

Helmut Federle: Es scheint mir aber ein wesentliches Merkmal, dass er dem gegensteuert. Diese skulpturalen Momente relativieren das Bild nicht. Es ist wichtig, dies zu sehen. Sie definieren das Bild, aber sie relativieren es nicht, weil er natürlich innerhalb des klassischen Formates bleibt und es nicht strapaziert. Bei den neuen Arbeiten würde ich es ein bisschen anders sehen. Aber generell ist gerade das ein Wesentliches seiner Arbeit: trotzdem bei der klassischen Bilddefinition zu bleiben. Und zum anderen, was du gesagt hast und was er selbst auch immer wieder betont: Diese Ausrichtung nach aussen hat nicht zuletzt auch mit einer Reaktion auf eine Zeit zu tun, auf den amerikanischen Expressionismus, auf gewisse Strömungen davon, die nach innen gerichtet waren. Ich bezweifle, inwiefern Robert Rymans Arbeit stärker nach aussen gerichtet ist als zum Beispiel die von Günther Umberg. Also wenn man Günther Umbergs Bilder nimmt, deren Körperlichkeit eine viel tiefere ist, kann man sagen, dass sie vielleicht genauso nach aussen gerichtet sind. Da bin ich immer wieder skeptisch. Das ist dasselbe wie mit der Verneinung der Komposition. Weshalb wird eigentlich so stark darauf herumgeritten? Muss man denn beweisen, dass das klassische Bild nicht mehr hält, dass es nicht mehr möglich ist? Ich meine, für diejenigen, für die das nicht mehr möglich ist, ist es klar, dass es nicht mehr möglich ist. Und diejenigen, die noch daran glauben, wie ich, werden die Legitimation suchen müssen, wieso sie noch daran glauben können, nicht wahr? Aber man muss ja nichts beweisen!

 

Christoph Schenker: Ja, man muss auch präzisieren, denn es gibt die Komposition, die auf Mondrian zurückgeht, die als Modell denkbar ist, die von einer Abstraktion her kommt, teilweise auch symbolischen Charakter hat. Und es gibt die Komposition, die nicht ableitbar ist und nirgendwo hinführt. Die Gemälde, die du vorhin angesprochen hast, die Versions von Robert Ryman, das sind für mich Gemälde, die tatsächlich, wie du sagst, kompositorische Aspekte haben. Aber diese Komposition ist nicht ableitbar und sie führt auch nirgendwohin. Also ist man am Schluss doch nur vor Malerei.

 

Helmut Federle: Aber das würde ich auch bei Mondrian so sehen. Nicht zuletzt geht es mir um dieses Verständnis der Ikone, nach welchem im Bilde selbst die Definition stattfindet. Bei der Ausstellung, die ich jetzt in New York hatte, habe ich ja diese Ikone aus dem 15. Jahrhundert nicht einfach so als Anekdote reingenommen, sondern bei all diesen drei gezeigten Arbeiten war es mir wesentlich, auf diese Kompositionskriterien zu verweisen. Man sieht bei dieser Ikone schon eine totale Harmonisierung des Bildraumes mit der Symmetrie und mit den ganz feinen Nuancierungen, die diese Symmetrie aufbauen. Natürlich, diese Symmetrie erzeugt so etwas wie ein Wohlbefinden, weil sie einen durch das Bild führt. Die Ikone positioniert diesen Platz. Darum ist diese Ikone für mich, wie das Bild von Mondrian oder das von Hodler, eigentlich eine Station im Raum. Das sind Bilder, von denen man durchaus sagen kann, dass sie geschlossen sind. Anders als zum Beispiel Shaped canvas, Kunstwerke, die direkt auf den Raum verweisen, die aus dem Bild herauskommen oder von denen in irgendeiner Ecke des Raumes noch ein zweiter Teil vorhanden ist. Die wollen das Bildformat aufbrechen.

 

Christoph Schenker: Ja, meine Damen und Herren, wenn keine sehr dringenden Fragen sich mehr einstellen, möchten wir an diesem Ort schliessen. Ich danke Helmut Federle sehr, sehr herzlich, dass er zu uns gekommen ist, um diese Diskussion zu führen. Anfügen möchte ich noch, dass ich solche Diskussionen sehr wertvoll finde, weil ich denke, dass Künstler sich ja nicht nur mit ihren Gemälden exponieren, sondern auch in ihren Gedanken. Und ich glaube, genauso wie die Gemälde eines Künstlers ganz neue Perspektiven evozieren können, so können auch die Gedanken eines Künstlers ganz neue Perspektiven erschliessen. Deshalb finde ich solche Diskussionen äusserst wertvoll.

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