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Hrsg.: Manfred Schmeling, Erwin H. Stegentritt, Karl-Heinz Teufel, Volker Triankowski
1971, 92 S. 26 x 20 cm (Auflage: 700 Ex.) 30,- €
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Lesepobe aus AQ 11
Kunstwerke, die avantgardistisch sind, sind von ihren Herstellern ausgeordnet. Avantgardistische Kunstwerke sind das Gegenteil von Mitteln zur Einordnung. Sie sind das Gegenteil von Werbemitteln,
von Mitteln zur Verführung oder Ablenkung. Sie stellen bloß. Sie stellen in Frage. Nicht nur teilweise. Sie machen ehrlich. Sie führen her. Nicht nur in die eigenen vier Wände. Sie führen an die
eigene Haut. Sie ermutigen zum Eigenen. Auch wenn dieses Eigene noch so halb, noch so klein, noch so unangemessen und unwesentlich scheint. Sie sind das Gegenteil irgendeiner Manipulation. Sie
dienen nicht der Unterdrückung, sondern dem Ausdruck. Sie reden nicht ein, sondern bringen zur Sprache. Sie machen mündig. Das noch nicht schubladisierte, noch nicht etikettierte Kunstwerk lenkt her,
her zum Persönlichen. Das noch nicht klassifizierte, avantgardistische Kunstwerk entflechtet. Es entkolonnisiert. Es befreit den, der ihm begegnet, zu sich selbst. Avantgardistisch ist das Kunstwerk,
das den Betrachter entdeckt. Auch wenn der herrschende Gleichschritt noch so sehr gestört wird: es bringt ins Selbstgespräch. Und mit dem Selbstgespräch ins Gespräch mit andern, die im Selbstgespräch
sind. Es verbündet die, die mit sich selbst im Gespräch sind. Das avantgardistische Kunstwerk macht den, der sich mit ihm beschäftigt, zu dem, der er wirklich ist. Es macht ihn zum Menschen. Es macht
ihn zu jemand, der zu nichts als zu allen gehört.
Weil das Kunstwerk, soweit es die Wirkung eines avantgardistischen Kunstwerks hat, angesichts der Ordnungen, die die Welt beherrschen, in der wir leben, auf seine eigene Weise zum Aufstand
verpflichtet, gehört es zu den Kräften, die die Gefahr heraufbeschwören, daß die Menschlichkeit, für die sie eintreten, ausgelöscht wird.
Es genügt also nicht, daß das Kunstwerk, um avantgardistisch zu sein, allein von der Sorge um den Aufstand für den Menschen profiliert ist, es muß auch durch die Sorge bestimmt sein, daß dieser
Aufstand dieselben Wirkungen hat, die es selbst auszeichnen.
Das Kunstwerk, das avantgardistisch sein will, muß versuchen, daß es den Aufstand, den es auszulösen mithilft, ebenfalls zum avantgardistischen Kunstwerk macht und die Aufständischen zu
avantgardistischen Künstlern. Durch welche Mittel das auch immer geschieht - die Skala der Möglichkeiten ist reich und an kein bestimmtes Medium gebunden -: hier liegt die gesellschaftliche, die
politische Mitverantwortung des künstlerischen Avantgardismus. Die Aufstände müssen unsere Sache werden: Auch wir, wir Avangardisten, wir Bewußtseinsveränderer, müssen uns kümmern. Erst wenn Aufstand
avantgardistische Kunst ist, ist die Sicherheit gegeben, daß selbst die strengste Organisation vom Menschlichen kontrolliert wird.
Wollen wir Avantgardisten der Kunst sein, müssen wir es nicht nur schaffen, die Kunst zum Aufstand, sondern auch den Aufstand zur Kunst zu machen.
„Avantgarde und Aufstand“ aus Thema Theater, Frankfurt/M. 1971